Akupunktur in China: Ein Erfahrungsbericht
Die Akupunktur, als Teil der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), erfreut sich zur Zeit eines regen Zuspruchs durch die Patienten im gesamten mitteleuropäischen Raum. Neuere Zahlen belegen, daß in Deutschland derzeit ca. 20.000 Ärzte verschiedener Fachrichtungen Akupunktur anwenden.
Doch wie sieht es in China aus? Wer akupunktiert, welche Krankheiten werden behandelt, wie wird behandelt?
Im Rahmen eines dreimonatigen Chinaaufenthaltes absolvierte ich von April bis Juni 1998 ein zweimonatiges Intensivpraktikum in der Abteilung für TCM am Rot-Kreuz-Krankenhaus Hangzhou (zwei Stunden per Zug südwestlich von Shanghai). Das Krankenhaus verfügt über 500 Betten im stationären Bereich. Täglich werden ca. 1500 Patienten ambulant behandelt, davon etwa 400 in der Abteilung für TCM.
Zur Traditionellen Chinesischen Medizin gehören neben der Akupunktur auch Tuina, eine chinesische Form der Massage, die Kräuterheilkunde, Diätetik, Qi Gong (Atemgymnastik) und Taijiquan (Schattenboxen). In der Klinik angewendet werden vor allem Akupunktur, Kräuterheilkunde und Tuina. Grundsätzlich entscheiden die Patienten selbst, welcher Therapierichtung sie sich zuwenden, die westliche Medizin steht dabei der TCM gleichberechtigt gegenüber, meist ist sie sogar in den Vordergrund getreten. Viele Kranke nehmen beide Möglichkeiten in Anspruch, z.B. Antibiotika bei Bronchitis plus schleimlösende Kräutertees. Zahlen müssen die Patienten selbst, nur für Mitarbeiter staatlicher Firmen besteht ein Krankenversicherungsschutz. Eine Akupunktursitzung kostet umgerechnet 2,30 DM.
Interessanterweise trifft man in China auf die gleichen Krankheitsbilder wie in unseren Landen. Rückenschmerzen, Schulter- und Kniebeschwerden werden am häufigsten und mit sehr gutem Erfolg genadelt. Aber auch Patienten mit Lähmungserscheinungen nach einem Schlaganfall zeigen meist eine deutliche Besserung.
Kopfschmerzen und Migräne dagegen sieht man in China selten. Magen- und Darmprobleme sowie Schlaflosigkeit, auch Menstruationsbeschwerden werden eher mit chinesischen Kräutern, können allerdings auch mit Akupunktur behandelt werden.
Die Akupunkturbehandlung als solche allein ist sehenswert. Wird bei uns im Westen höchsten Wert auf Diskretion gelegt, so zeigt sich in China das Gegenteil: Alle übrigen Patienten lauschen der Krankengeschichte, es werden sogar Kommentare und Tips gegeben. Klagen Patienten während der Behandlung über Schmerzen, werden sie aufgefordert nicht zu wehleidig zu sein. Auch helfen sich die Patienten gegenseitig, z.B. beim An- und Auskleiden oder beim „Klettern" auf die Liege. Der Praxisraum ist im Laufe des gesamten Morgens mit 10-15 Patienten gefüllt. Viele von ihnen bleiben drei Stunden, werden zuerst auf dem Rücken liegend, dann auf dem Bauch liegend behandelt, schließlich wird noch geschröpft (blutig oder unblutig). Gerade für ältere Patienten sind die 2-3 Behandlungen pro Woche der Treffpunkt für Kommunikation, es ist das „social event", das Ereignis der Woche.
Die behandelnden Ärzte stehen in hohem Ansehen bei den Patienten. Eine Reihe von Ärzten arbeitet weit über das Rentenalter hinaus, da Wissen und Erfahrung, gerade älterer Menschen, in China sehr geschätzt werden. Der Umgang mit den Patienten ist äußerst freundschaftlich. Ärzte für TCM haben meist „nur" TCM studiert, d.h. sie haben 4-6 Jahre lang Akupunktur, Tuina, Kräuterheilkunde, Diätetik, daneben natürlich auch Anatomie, Physiologie und Pathologie gelernt. Einige Ärzte schließen daran noch ein 6jähriges humanmedizinisches Studium an.
Die Ausbildung in Traditioneller Chinesischer Medizin steht einem schulmedizinischen Studium in nichts nach, die Schwerpunkte werden natürlich anders gesetzt. So wird auch deutlich, mit welcher Ernsthaftigkeit die TCM betrieben wird und welchen Stellenwert sie nach wie vor in der chinesischen Gesellschaft einnimmt. Für Ärzte, die westlich schulmedizinisch ausgebildet sind, stellt die Anwendung, z.B. der Akupunktur als Teil der TCM, eine große Herausforderung dar, die nur durch langdauerndes Studium auch zu guten Behandlungserfolgen führen wird.
Der Artikel erschien im Gesundheitsjournal der Linden - Apotheke in Nordhorn.